Nebenklage im Detmolder Auschwitz-Prozess

Nebenklage im Detmolder Auschwitz-Prozess

Nebenklage im Demolder Auschwitz-Prozess gegen Reinhold Henning.

 Schlussvortrag des Vertreters der Nebenklage, Dr. Donat Ebert vom 10.06.2016:

„Hohes Gericht,

geehrte Vertreter der Staatsanwaltschaft,

geehrte Damen und Herren Kollegen auf Seiten der Nebenklage und auf Seiten der Verteidigung,

verehrte Anwesende,

ich möchte in meinem Plädoyer nur solche Aspekte aufwerfen und mich damit auseinandersetzen, die bisher noch nicht zur Sprache gekommen sind oder solche Aspekte, die Vorredner gänzlich anders gesehen haben.

Da sind zunächst einmal die von der Frau Vorsitzenden verlesenen Zitate der in ihrem Inhalt und ihrer Form obskur und grotesk anmutenden Befehle der SS-Leitung in einem realistischen Licht zu sehen. Es waren hier Befehle, wie und wer und wann zu grüßen sei.

Es waren u.a. Befehle, wie der Wachdienst zu versehen sei. Dass während der Wache nicht geraucht werden dürfe, dass es verboten sei, sich zu unterhalten, wann zu schießen und wie Dienstränge zu kennzeichnen seien. An welchen Festen teilzunehmen sei – ja, es gab an diesem schrecklichen Ort auch Feste, man feierte und entspannte sich – und wie lange man dort zu bleiben habe.

Das mag sich für den völligen militärischen Laien so angehört haben, als seien die SS-Angehörigen in Auschwitz jeglicher Selbständigkeit beraubt worden und ihr gesamtes Leben und Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes reglementiert gewesen.

Diese Sichtweise wäre ein Irrtum:

Beim Militär ist das so. Auch bei der Bundeswehr war das so, diejenigen die von uns dort noch Dienst leisten mussten oder wollten, werden sich daran erinnern. Auch bei der Bundeswehr war exakt vorgeschrieben, wie der Wachdienst zu versehen sei. Sechs Schritte Abstand zum Vordermann, drei Schritte nach rechts versetzt diesem folgen. Die Waffe geladen, aber gesichert, kein Reden, natürlich kein Rauchen – nichts, was, die Aufmerksamkeit ablenken könnte. So ist das beim Militär.

Und ich habe einmal in Ungarn einen Polizisten verteidigt, der während des Dienstes beim Schlafen ertappt worden war. Dies ist in Ungarn für Militär und Polizei eine Straftat, wegen derer der junge Mann vor ein Militärgericht gestellt und mit einer ganz empfindlichen Geldstrafe belegt worden ist. § 438 des ungarischen Strafgesetzbuches enthält für ein solches Vergehen – Schlafen während des Dienstes – eine Strafandrohung von bis zu einem Jahr Gefängnis – während Friedenszeiten und wenn kein weiterer Schaden eingetreten ist. Und bei allen Vorbehalten gegenüber dem derzeit an der Macht befindlichen System in Ungarn: Eine auf Gewalt beruhende Diktatur ist Ungarn gewiss nicht. Dennoch eine solche Strenge wegen eines lächerlich anmutenden Verstoßes.

So ist das nun einmal beim Militär und anderen bewaffneten, uniformierten Streitkräften

Insofern sind hier die verlesenen Befehle sehr, sehr relativiert zu sehen.

Denn wir wissen auch – u.a. aus dem Gröning-Prozess – sehr genau, dass die SS selbst es mit dem vom Reichsführer SS Heinrich Himmler – wohl u.a. – in seiner Posener Rede vom 4.10.1943 gegebenen Befehl, dass wer sich am Eigentum der Juden „vergreife“ des Todes sei, nicht nur nicht genau genommen hat. Sondern dass in Auschwitz ein strenger Befehl, sich nämlich nicht am Eigentum der Juden persönlich zu bereichern, nicht nur nicht beachtet worden ist, sondern dass dieser Befehl systematisch missachtet worden ist. Und zwar um die Motivation der SS-Leute in Auschwitz hoch zu halten.

Um die SS in ihrer Motivation zum Morden und ihren unfassbaren Gräueltaten nicht erlahmen zu lassen, hat man es geduldet, dass man sich am Eigentum der Juden bereicherte und es sich so gut gehen ließ, wie nur irgend möglich. Und einen klaren Befehl vom höchsten Vorgesetzten klar missachtet hat. Missachtung von Befehlen von der obersten Führung hat es also gegeben. Von Befehlen, deren Missachtung mit dem Tode bedroht wurde. Aber nur wenn die Befehle zum Schaden der Opfer und zum eigenen Nutzen missachtet wurden.

Missachtung von Befehlen, um Häftlingen einen Dienst zu erweisen, dürften in Auschwitz sehr, sehr selten gewesen sind. Ob Herr Hanning etwa tatsächlich einen Brief entgegengenommen und abgeliefert hat, wie er in seiner Einlassung erklärte, vermag ich nicht zu beurteilen. Einen realen Hintergrund kann dieser Bericht haben, die Geschichte klingt für mich zunächst einmal glaubhaft. Sie kann natürlich auch von einem Kameraden erzählt und dann adaptiert worden sein. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren.

Die Frage ist doch eher, inwiefern muss man sich dem aussetzen und in eine Truppe eintreten und dort bleiben muss, die den unbedingten Gehorsam auf die Spitze treibt – was in dem Motto „Meine Ehre heißt Treue“ zum Ausdruck kam. Und somit ist die Treue das Einzige, was zählt, der Gehorsam ohne jede Bedingung, komme was wolle.

Hier liegt der Unterschied zu jedem „zivilisierten“ Militär: in der Treue auch zu den ungeheuerlichsten Befehlen, den unfassbaren Zwecken der Befehle – der Ausrottung von Menschen.

Der Gehorsam unter allen Umständen, egal, wie verbrecherisch das Tun und Geschehen um einen herum war, das System, an dem man mitwirkte. Dem hätte man sich entziehen müssen, irgendwie – Auschwitz war ein Ort – so verbrecherisch, so schrecklich, so niederträchtig, so sehr gegen jede Zivilisation, gegen jedes Gebot der Menschlichkeit – dass man sich dem entziehen musste. Dort durfte man nicht mitmachen. Wer dort mitmachte muss bestraft werden, auch heute noch.

Auch Herr Hanning hat dies eingesehen und sinngemäß  gesagt, dass er sich schäme und bereue, dabei gewesen zu sein.

Wir befinden uns hier in einem Verfahren, das nunmehr dem Ende zugeht und das zweierlei Funktionen hat:

Zum einen die individuelle Schuld des Angeklagten zu ermitteln und abzuurteilen.

Zum anderen durch die hier vertretenen Nebenkläger dem Bedürfnis der Opfer auf Genugtuung entgegenzukommen – dies ist eine der Hauptfunktionen der Nebenklage.

All dies im Rahmen und nach den Regeln der Strafprozessordnung natürlich.

Die Opfer hatten hier Gelegenheit zu Wort zu kommen und allen Prozessbeteiligten und Zuhörern ihr unendliches Leid zu schildern und den Anwesenden eine Vorstellung der Dimension der unglaublichen Verbrechen zu geben. Es war ja auch zum Teil schwer zu ertragen. Nur zu hören, was diese Menschen erleiden mussten.

Und sowohl mein Mandant, Dr. Imre Lebovits, als auch ich sind überaus dankbar dafür, dass wir hier auch zu Sprache bringen konnten, wie weitgehend die Beteiligung der ungarischen Gendarmerie und Bevölkerung war. Dies war allenfalls am Rande eigentlicher Gegenstand des Prozesses und sicherlich nicht Gegenstand der ungeheuerlichen Vorwürfe gegen den Angeklagten. Aber vor einem Gericht diese Tatsachen zur Sprache bringen zu können, ist eine Genugtuung, die den Opfern in Ungarn bis heute verwehrt worden ist und mit Sicherheit nicht mehr gegeben werden wird.

Mein Mandant bat mich, hierfür noch einmal seinen tiefen Dank und Respekt gegenüber der Kammer auszusprechen.

In diesem Zusammenhang möchte ich hier nicht wiederholen, was ich in Lüneburg in meinem Plädoyer anführte, nämlich die Situation im heutigen Ungarn (angeklagt ist Ungarn-Aktion) zu beschreiben, möchte nur erwähnen, dass kürzlich in einer von der ungarischen Rechtsanwaltskammer monatlich veröffentlichten und an jeden ungarischen Rechtsanwalt versendeten Zeitschrift ein Artikel erschien über Opfer des Holocaust aus dem Kreis der ungarischen Juristen. Am Ende des Artikels wird ein Kollege zitiert, der behauptete, nirgends in Europa seien so viele Ungarn gerettet und versteckt worden wie in Budapest. Dies gebe Anlass, dass Ungarn stolz sein könne auf seine Hauptstadt.

Eine schamlose Verzerrung der Geschichte. Es waren die Dänen und die Albaner, die sich weigerten, Juden an die deutschen Nazis zu übergeben. Nicht ein Jude wurde von den – muslimischen – Albanern, die heute so gerne und häufig als primitive Gewalttäter dargestellt werden, an die Nazis ausgeliefert. Kein Jude wurde aus dem besetzten Albanien an die Deutschen übergeben. Die albanische Kultur ehrt ja auch bis heute den „Gast“ als geradezu heilig. Diese Gastfreundschaft der Albaner führte schließlich dazu, dass es sich herum sprach, dass man in Albanien in Sicherheit sei und vielen Juden gelang die Flucht dorthin, wo sie den Holocaust überlebten.

Und dann kommt ein ungarischer Rechtsanwalt daher, und er behauptet, man könne stolz auf Budapest sein für die vielen geretteten Juden.

Noch einmal: 430.000 ungarische Juden, die innerhalb von 56 Tagen nach Auschwitz deportiert wurden – nachdem sie vorher – wie Herr Lebovits hier in diesem Saal uns schilderte – vorher schikaniert und gefoltert worden waren. Aus Habgier, Niedertracht und widerwärtigem Antisemitismus.

In der Behauptung des ungarischen Kollegen wieder einmal eine dreiste Verzerrung der historischen Wahrheit – diesmal durch ungarische Rechtsanwälte.

Zum Anderen gilt es, die individuelle Schuld des Angeklagten festzustellen und ein angemessenes Strafmaß zu finden.

Frage ist auch, wie die Einlassung und Reue des Herrn Hanning zu werten ist.

Nach meiner Ansicht und festen Überzeugung ist die EMRK die größte Errungenschaft der europäischen Zivilisation seit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs.

Art. 6 EMRK enthält den Anspruch auf eine faires Verfahren.

Ein „Herzstück“ des Anspruchs auf ein faires Verfahren im Strafprozess ist der Grundsatz „nemo tenetur se ipso accusare“ – niemand ist gehalten oder verpflichtet, sich selbst anzuklagen oder zu belasten.

Niemand muss dies tun im Strafprozess, wenn er Subjekt eines solchen ist. Kein Angeklagter muss dies tun.

Herr Hanning hat dies dennoch getan und meiner Auffassung nach durch seine Einlassung eine Grundlage für seine Verurteilung freiwillig geliefert.

Sicherlich tat er dies in einer unvollkommenen Art und Weise und sehr lückenhaft. Dies kann dem hohen Alter geschuldet sein und der von ihm vorgetragenen Tatsache, nie und mit niemandem über die Zeit in Auschwitz gesprochen zu haben. So fehlte in den vielen Jahrzehnten seither möglicherweise jede Aufarbeitung der Vorgänge und es war allein dem Gedächtnis und Gewissen des Herrn Hanning überlassen, mit diesen Erinnerungen umzugehen. Offenbar machte Herr Hanning diese Erinnerungen mit sich alleine aus.

Mich persönlich verwundert es daher nicht, dass Herr Hanning sich auch – möglicherweise  vor allem – an solche Ereignisse erinnert, die seinen Beitrag an dem Morden in Auschwitz in ein besseres Licht stellen.

Ich halte dies für menschlich und nach meinem Befassen mit den neueren Forschungen dazu, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert, für geradezu normal. Das menschliche Gehirn wird in der neueren Gedächtnisforschung als „kreativ“ bezeichnet was die Aufarbeitung von Erinnerungen angeht. Und natürlich spielt hierbei auch eine Verdrängung eine Rolle – natürlich.

Es ist menschlich, unangenehme, böse Erinnerungen zu verdrängen – auch wenn dies den Opfern hier als Verhöhnung erscheinen muss – so auch meinem eigenen Mandanten.

Ich halte es daher für gut vorstellbar, dass Herr Hanning im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Erinnerungen hier – wenn nicht vollständig (natürlich), so doch im Wesentlichen dargestellt hat.

Eine Rolle kann hierbei auch spielen, dass Herr Hanning, den wir hier in seiner Persönlichkeit sehr wenig kennenlernen konnten, offenbar wesentlich anders strukturiert als Herr Gröning – der sehr früh anfing, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Ob man Herrn Hanning seine Reue abnehmen kann, vermag ich hier nicht endgültig zu entscheiden. Ich tendiere aber dazu.

Mein Mandant sagte – als ich ihn am Wochenende in Budapest besuchte – er nehme den Antrag der Staatsanwaltschaft mit Genugtuung zur Kenntnis.

Wir selbst möchten keinen konkreten Strafantrag stellen.

Von überragender Bedeutung ist der Schuldspruch. Das Strafmass überlassen wir der Weisheit des Gerichts.“

Wenn Sie noch Fragen zu diesem Komplex der Verfahren in Detmold und Lüneburg gegen ehemalige Wärter des Konzentrationslagers Auschwitz haben, so können Sie hier den Kontakt mit uns aufnehmen

Dr. Donat Ebert

Ügyvéd - Rechtsanwalt (HU, D)

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